2025

JACKIE GRASSMANN
Künstlerin, Berlin
Missing Number Six Plastic / Plastique
– Kollektivität, Text und Widerstand: Sophie Taeuber-Arp als Publizistin
In meinem künstlerischen Forschungsprojekt untersuche ich Sophie Taeuber-Arp Arbeit als Publizistin, insbesondere ihre Rolle als Herausgeberin der Zeitschrift Plastique (1937–1939). Ich betrachte ihre publizistische Tätigkeit als eine dezidiert künstlerische Praxis, die weit über das traditionelle Verständnis von Kunst hinausgeht und Aspekte wie Kollektivität, politische Haltung und die Pflege kreativer wie privater Verbindungen umfasst. Besonders die Kuration, Gestaltung und Kommunikation innerhalb des Projektes sehe ich als Teil einer feministischen künstlerischen Praxis, die traditionelle Hierarchien und unsichtbare „Sorgearbeit“ in den Fokus rückt. Taeuber-Arps Arbeit für Plastique war auch ein Ort des Widerstands gegen die zunehmende politische Repression und bot Künstler:innen der Moderne, eine Plattform für kollektive Zusammenarbeit. Der zunehmende Faschismus in Europa und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderten schließlich die Veröffentlichung weiterer Ausgaben.
Nach ihrem Tod unternahm Hans Arp weitere Bemühungen, die sechste Ausgabe zu realisieren. Doch auch diese Versuche blieben erfolglos. Die Nummer sechs wurde nie veröffentlicht. Mein Projekt Missing Number 6 setzt genau hier an. Zusammen mit meinem Kollektiv GAS möchte ich eine Publikation herausbringen, die sich mit der nie erschienenen sechsten Ausgabe von Plastique beschäftigt und sowohl das historische Projekt als auch Sophie Taeuber-Arps Arbeitsweise als Publizistin in die Gegenwart übersetzt. Dabei möchte ich drei zentrale Themen untersuchen: Kollektivität, Text und Widerstand. Diese Themen spiegeln sich nicht nur in Plastique wider, sondern auch in meiner eigenen Praxis, die stark auf kollektive Arbeit und die Bedeutung von Text als künstlerisches Medium setzt und das Publizieren als politische Praxis betrachtet. Ein zentraler Aspekt von Missing Number 6 ist die Idee der Kollektivität und Zusammenarbeit, die sowohl in Plastique als auch in meiner eigenen künstlerischen Arbeit eine wesentliche Rolle spielt. In der geplanten GAS Publikation Missing Number 6 werde ich Plastique neu interpretieren und verschiedene Künstler:innenkolleg:innen einladen, auf Inhalte von Plastique zu reagieren. Die Publikation wird Texte, Lyrik, Grafik und textbasierte Kunst enthalten und die Relevanz der politischen Haltung von Plastique in unserer aktuellen Situation reflektieren. Neben meiner Funktion als Herausgeberin Missing Number 6 in Zusammenarbeit mit meinen GAS Kollegen wird mein Beitrag zur Publikation sein, den Kollektivroman L’homme qui a perdu son squelette ins Deutsche zu übersetzen und seinen Inhalt künstlerisch zu verarbeiten. Der Titel Missing Number 6 verweist nicht nur auf die nie erschienene Ausgabe, sondern auch auf das Fehlen einer bestimmten Art der künstlerischen und publizistischen Arbeit, die heute wieder dringend notwendig erscheint. In meiner Forschung möchte ich untersuchen, wie die Aspekte von Kollektivität, Text und Widerstand aus Plastique für die Gegenwart neu interpretiert werden können und welchen Einfluss Sophie Taeuber-Arps Arbeit als Publizistin auf das heutige Kunstpublizieren hat.
Lit.: Walburga Krupp Plastique Plastic 6 – Pläne für eine nicht realisierte letzte Ausgabe, in J. Bill; S. Gschwend, S. Martinoli (Hrsg.): Allianzen: Arp, Taeuber-Arp, Bill, Ausst.-Kat. Appenzell und Locarno, Zürich 2024, S. 112-115.

NOEMI SCHERRER
Doktorandin Uni Basel, Assistenzkuratorin Kunstmuseum Basel
Sophie Taeuber-Arp. Abstraktion, soziale Gemeinschaft und Performanz weiblicher Subjektivität
Das geplante Forschungsvorhaben steht im Kontext meines monografischen Dissertationsprojekts, das Sophie Taeuber-Arps Hinwendung zur ungegenständlichen Kunst fokussiert. In dieser Absicht nimmt die kunsthistorische Untersuchung ihr Schaffen ab den frühen 1920er-Jahren in den Blick, als Sophie Taeuber-Arp als freischaffende, multimediale Kunsthandwerkerin und Lehrperson an der Zürcher Kunstgewerbeschule bekannt war, und verfolgt ihren Weg zur/als bildende/n Künstlerin bis in die abstrakten Malereien und Reliefs der frühen 1930er-Jahre.
Grundlegendes Anliegen dabei ist es, die komplexen und dynamischen Beziehungen zwischen Abstraktion, sozialer Gemeinschaft und der Performanz weiblicher Subjektivität – das heisst zwischen der Form der Kunst und der Form des Lebens – zu erforschen. Durch diese methodische Verschränkung von künstlerischer und gelebter Form verspricht die Dissertation in ihrer mikrohistorischen Engführung nicht nur, eine wesentliche Lücke in der Sophie Taeuber-Arp-Forschung zu schliessen, sondern ebenso wichtige Perspektiven innerhalb der kunsthistorischen Diskussion um die Politik der internationalen Abstraktion und der modernen Kunst der Zwischenkriegszeit. Denn der Hauptfokus auf die 1920er-Jahre erlaubt es, die bisher nur marginal diskutierte, jedoch entscheidende Phase von Sophie Taeuber-Arps Weg in die Abstraktion zu untersuchen und zugleich für die Bedeutung ebendieser Abstraktion für die Herausbildung einer weiblichen Poetik der Gemeinschaft zu argumentieren.
Zentral für das Forschungsvorhaben sind dabei die historische wie analytische Arbeit mit dem künstlerischen Teilnachlass und der umfangreichen Forschungsliteratur zu Sophie Taeuber-Arp, welche die Stiftung Arp e.V. in Berlin bewahrt, und insbesondere mit dem Archivbestand zur Künstlerin und zu ihrem sozialen wie künstlerischen Umfeld der 1920er- und 1930er-Jahre. Das sind das beinahe gänzlich unbearbeitete und weitgehend unpublizierte Konvolut an (biografischen) Fotografien von Sophie Taeuber-Arp zusammen mit ihrem Partner Hans Arp sowie Freund*innen und Familie, ihr «Präsentationsalbum» von ca. 1930, sowie Briefgespräche, aber auch zeitgenössische Dokumente wie Ausstellungspublikationen, Manifeste, Kunstkritiken und Zeitungsartikel. Während des geplanten dreimonatigen Aufenthalts soll dabei vor allem auch die Beziehung bzw. Gemeinschaft mit Hans Arp in den Fokus rücken; und zwar in seiner Rolle als «erster» Kunsthistoriker von Sophie Taeuber-Arps Oeuvre sowie als – über den Tod der Künstlerin hinaus fortdauernder – künstlerischer Kollaborateur.